“Kurz gesagt ist der Gell-Mann-Amnesie-Effekt der folgende: Man öffnet die Zeitung und liest einen Artikel zu einem Fachbereich, mit dem man sich auskennst. Im Falle von Murray: Physik. […] Man liest den Artikel und erkennt, dass der Journalist weder Verständnis von den Fakten, noch von den Sachverhalten hat. Oftmals ist der Artikel so falsch, dass er die Geschichte rückwärts erzählt, und Ursache und Wirkung umkehrt. […] Jedenfalls liest man mit Verärgerung oder Belustigung die zahlreichen Fehler in einer Geschichte, und dann blättert man zu den nationalen oder internationalen Angelegenheiten, und liest den Rest der Zeitung so als wäre er irgendwie genauer über Palästina als der Quatsch, den man gerade gelesen hat. Man blättert die Seite um und vergisst, was man weiß.”1

Crichton sagt weiter, dass dies ein medienspezifisches Problem sei - schließlich glaube man im privaten Umfeld denjenigen nicht, die regelmäßig lügen oder übertreiben, und vor Gericht gebe es sogar eine Doktrin “falsus in uno, falsus in omnibus” (unwahr in einem, unwahr in allem).

Je nach Begriffsdefinition von “Medien” ist die Linse jedoch weiter zu ziehen: jedes Mal, wenn Menschen mit einer angenommenen Autorität (Wissenschaftler, Politiker, Manager) sich äußern, sei es in den klassischen Medien, oder in den sozialen Medien und auf Plattformen, ist dieses Phänomen zu beobachten und sollte uns Anlass zumindest zum Innehalten und Reflektieren bieten.

Wie Crichton aber richtigerweise schreibt: Sobald wir die Seite umblättern, ist häufig alles vergessen.

Was bedeutet das?

Zunächst, ich fürchte, ich werde in Zukunft den Gell-Mann-Amnesie-Effekt regelmäßig referenzieren müssen, daher heute nur ein kurzer Kommentar:

Solange zudem nicht klar ist (möglicherweise auch den Handelnden selbst nicht), mit welcher Intention die ungenaue bis falsche Aussage getätigt wird, eröffnet sich auch keine unmittelbare Lösung

Bei “ehrlichen Fehlern” braucht es die intellektuelle Demut offen zu sein für Feedback und Korrekturen, und ein Umfeld, dass dieses Feedback zulässt. In vergifteten Debatten und Aussagen mit klarer Agenda bleibt nur diese Technik transparent zu machen, rhetorischen Widerstand zu leisten.


  1. Michael Crichton: “Why speculate”, International Leadership Forum, La Jolla (April 26, 2002): “Briefly stated, the Gell-Mann Amnesia effect is as follows. You open the newspaper to an article on some subject you know well. In Murray’s case, physics. […] You read the article and see the journalist has absolutely no understanding of either the facts or the issues. Often, the article is so wrong it actually presents the story backward— reversing cause and effect.[…] In any case, you read with exasperation or amusement the multiple errors in a story, and then turn the page to national or international affairs, and read as if the rest of the newspaper was somehow more accurate about Palestine than the baloney you just read. You turn the page, and forget what you know.” ↩︎