Die Menschen, die am folgenswertesten sind, sind nicht auf Social Media.1

Gleichzeitig glorifizieren wir Verbrecher. Ironischerweise gefeiert für ihre systemischen Grenzüberschreitungen von denen, deren Freiheitsinterpretation überhaupt erst durch ein freiheitliches System ermöglicht wird.

Und ansonsten: alles grau:

  • Auch Verbrecher können Dinge sagen, die richtig, oder zumindest nicht falsch sind.
  • “Jeder Heilige hat eine Vergangenheit und jeder Sünder hat eine Zukunft”2, und Handlungen sollten vor allem am Handlungskontext gemessen werden, nicht an einem Ideal, oder am “Jetzt”. Beim Ideal ist nicht klar, in welchem Ausmaß Praktikabilität hinter die Ideologie zurücktreten musste, und das “Jetzt” hat (hoffentlich) bereits Fortschritt gegenüber dem Handlungskontext gebracht.

Highlight-Reels, Linkedin-Inspo-Zusammengassungen und Twitter/X-Threads verdichten die Bewertung häufig auf ein interaktionsanregendes Niveau, und so gehen potenzielle Vorbilder den aus Dune bekannten Weg: “Hier liegt ein gestürzter Gott / Sein Sturz war kein kleiner / Wir bauten ihm lediglich ein Podest / Ein schmales und ein hohes”3.

Kästner fand für seine Hommage an Lessing4 eine wunderbare, ambivalenzrespektierende Art:
“[…]
Er war ein Mann und kein Genie.

Er lebte in der Zeit der Zöpfe,
und er trug selber seinen Zopf.
Doch kamen seitdem viele Köpfe
und niemals wieder so ein Kopf.
[…]”

Im Wissen um “grau” und Wildes zutreffendes Zitat: genauso können Verbrecher herangezogen werden, um die aktuelle Situation zu verbessern, und Schritte in die richtige Richtung gehen. Wir sollten nur aufhören, sie um ihrer Verbrechen und Pseudo-Rebellion (die in den allermeisten Fällen doch nur unsozialer Eigennutz verschleierte) auf Podeste zu stellen. Oder zumindest diese “hoch und schmal” bauen.


  1. Weil sie damit beschäftigt so zu handeln, dass sie folgenswert sind, statt dieses Handeln auf der Suche nach Reichweite und Interaktion auszustrahlen. ↩︎

  2. “The only difference between the saint and the sinner is that every saint has a past and every sinner has a future.” - Oscar Wilde, A Woman Of No Importance↩︎

  3. “Here lies a toppled god. His fall was not a small one. We did but build his pedestal, A narrow and a tall one.” - Frank Herbert, Dune↩︎

  4. Erich Kästner, Lessing↩︎